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Juni 2025, News #07
Wann ist eine Wettbewerbsabrede erheblich?
Anmerkungen zum Vorschlage der nationalrätlichen Rechtskommission
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Die Rechtskommission des Nationalrats schlägt im Rahmen der Revision des Kartellgesetzes vor, dass die WEKO bei einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs in jedem Fall prüfen müsse, ob diese auch erheblich sei, sprich volkswirtschaftlichen Schaden verursachen kann. Dass gewisse Typen von Wettbewerbsabreden, etwa Preis-, Mengen- und Gebietsabsprachen, per se als erheblich gelten, soll künftig, anders als nach geltender Praxis, nicht mehr möglich sein. Dies im Gegensatz zum Ständerat, der nicht ausschliessen will, dass bei gewissen Wettbewerbsabreden, die nach anerkannter ökonomischer Lehre in aller Regel erheblich sind, die WEKO auf eine detaillierte Prüfung verzichten kann. - Das Thema steht im Zentrum der KG-Revision. Der Nationalrat wird in der Sommersession dazu Stellung nehmen, und es ist gut vorstellbar, dass er in diesem Punkt eine Differenz zum Ständerat schafft.
Mit ihrem Vorschlag nimmt die Rechtskommission des Nationalrates die Anliegen der Wirtschaft auf, die sich zu Recht darüber beklagt, dass die Wettbewerbskommission vielfach Abreden sanktioniere, die nicht nur für die betreffenden Unternehmen, sondern auch unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten durchaus Sinn machten. Auch in der Wissenschaft wird zum Teil betont, dass viele Wettbewerbsabreden ambivalent seien und nicht zum vornherein feststehe, ob sie Nutzen oder Schaden stiften würden; eine genauere Abklärung sei deshalb oftmals nötig. In offensichtlichen Fällen jedoch - im Jargon der Ökonomen bei einer eindeutigen Schadenstheorie - könne im Interesse der Verfahrensökonomie auf eine eingehende Untersuchung verzichtet werden (vgl. Gutachten polynomics).
Auch die Kommission des Nationalrates bzw. deren Mehrheit ist sich offenbar bewusst, dass eine umfassende Abklärung aller wirtschaftlichen Auswirkungen einer Wettbewerbsabrede zwar wünschenswert ist, jedoch einen grossen Aufwand verursacht und zum Teil gar nicht machbar ist. Mit einer sehr umständlichen Formulierung versucht sie deshalb, den Untersuchungsaufwand der Wettbewerbskommission etwas zu beschränken. Ganz in den konkreten Fall eintauchen soll die Behörde dann doch nicht müssen, sondern sie darf sich auf gewisse Erfahrungswerte stützen. Das hat zur folgenden Formulierung geführt:
"Die Erheblichkeit der Wettbewerbsbeeinträchtigung wird einzelfallweise in einer Gesamtbeurteilung anhand qualitativer Elemente in Form von Erfahrungswerten und quantitativer Elemente in Form von den konkreten Umständen auf dem relevanten Markt geprüft" (Vorschlag zu Art. 5 Abs.1bis KG).
Ob diese Formel praxistauglich ist oder doch wieder Anlass zu methodologischen Streitigkeiten geben wird, wird sich allerdings weisen müssen. Der Nationalrat und später vielleicht wieder der Ständerat tun gut daran, sich den Ablauf einer solchen Prüfung möglichst genau vor Augen zu führen. Sie sollten eine Formulierung finden, die eine sachgerechte Behandlung der Unternehmen gewährleistet und doch nicht zu unnötigen Verfahrensverzögerungen führt - in der Tat eine schwierige Aufgabe.
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Peter Müller, Präsident Think Tank Fairer Wettbewerb
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März 2025, News #06
Wettbewerbsaufsicht – effektiv und doch fair!
Wettbewerbsbehörden vor komplexer Aufgabe
Die Wettbewerbskommission und ihr Sekretariat agieren in einem schwierigen, spannungsgeladenen Umfeld. Dies hat auch die Podiumsdiskussion des Think Tank Fairer Wettbewerb vom Februar gezeigt. Auf dem Spiel stehen grosse volkswirtschaftliche wie auch wichtige geschäftliche Interessen von Unternehmungen. Die von den Behörden zu beurteilenden Sachverhalte sind komplex und ambivalent und werden auch von Fachleuten unterschiedlich beurteilt. Ob Wettbewerbsabreden schaden oder doch eher Nutzen stiften, steht oft nicht eindeutig fest. Auch nicht, ob Marktmacht missbräuchlich erlangt und ausgeübt wird oder einfach Folge einer innovativen Unternehmensführung ist.
Für eine Wettbewerbsbehörde ist es angesichts dieser Sachlage eine Herausforderung, richtig, fair, aber auch rasch zu entscheiden. Wollte sie immer „richtig“ entscheiden, müsste sie in jedem Fall umfassende Abklärungen vornehmen und die Schädlichkeit, die eine Wettbewerbsabrede verursacht, eindeutig beziffern – eine zum Teil fast unlösbare Aufgabe. Wollte sie tatsächlich „fair“ entscheiden, müsste sie den betroffenen Unternehmungen zusätzliche Mitwirkungsmöglichkeiten wie etwa in einem Strafprozess einräumen, damit tatsächlich Waffengleichheit zwischen Behörde und Unternehmung besteht; zudem sollten Vorverurteilungen vermieden und Sanktionen verhältnismässig sein. Sollte aber eine Abklärung einer Wettbewerbsabrede „rasch“ vor sich gehen, müsste die Behörde zumindest in gewissen Fällen mit Vermutungen und Plausibilitäten arbeiten und auf aufwendige Untersuchungen verzichten können.
Zurückhaltung bei pönalen Sanktionen bei per-se-Verfahren
Angesichts der anstehenden Revision des Kartellgesetzes stellt sich erneut die Frage, wie in diesem Spannungsfeld die Aufgaben und Kompetenzen der Behörden definiert werden sollen. Insbesondere muss festgelegt werden, ob die Behörde die Schädlichkeit einer Wettbewerbsabrede in jedem Fall nachweisen muss (quantitative Methode) oder ob gewisse Typen von Wettbewerbsabreden per se, das heisst ohne detaillierte weitere Prüfung, als wettbewerbsschädigend und damit widerrechtlich angesehen werden dürfen.
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Aus der Wirtschaft wird gefordert, dass per-se Vermutungen von wettbewerbswidrigem Verhalten kategorisch ausgeschlossen sein müssen. Anderseits vertreten Teile der Wissenschaft und der Politik die Meinung, dass weitere Abklärungen bei bestimmten Konstellationen von Wettbewerbsabreden deren volkswirtschaftlicher Schaden evident sei, gerade auch im Interesse eines raschen Verfahrens, nicht nötig seien.
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Wie also entscheiden? Nach Meinung des Think Tanks Fairer Wettbewerb macht es aus verfahrensökonomischen Gründen Sinn, in vergleichsweise einfachen und in der Regel eindeutigen Fällen, zum Beispiel bei verdeckten Preisabsprachen, auf eine umfassende Abklärung zu verzichten und vermutungsweise auf die Widerrechtlichkeit entsprechender Vereinbarungen abzustellen. Da aber gleichwohl ein gewisses Restrisiko besteht, dass der Entscheid nicht „richtig“ ist, sollte die Behörde bei per-se-Entscheiden keine strengen Strafsanktionen verhängen, da diese für die betroffenen Unternehmen mit einschneidenden finanziellen und manchmal existenzgefährdenden Einbussen und mit hohen Reputationsrisiken verbunden sind. In solchen Fällen sollte sie sich darauf beschränken, der Unternehmung das fragliche Verhalten zu verbieten, unter Strafandrohung bei Nichtbefolgung der entsprechenden Verfügung. So kann dem Interesse an einem raschen und effektiven Verfahren Rechnung getragen werden, ohne dass die Konsequenzen eines allfälligen Fehlentscheides allzu gravierend sind. Dem Gesetz sollen allerdings nicht gerade die Zähne gezogen werden: in eindeutigen Fällen sind strenge Sanktionen nach wie vor angezeigt.
Waffengleichheit bei Wettbewerbsverfahren
Das Vertrauensverhältnis zwischen Wettbewerbsbehörde und der Wirtschaft ist gestört und die Akzeptanz von Verfahren und Entscheidungen der Kartellkommission ist vielfach nicht vorhanden. Es besteht aktuell eine erhebliche Rechtsunsicherheit, die dazu führt, dass Unternehmen, gerade auch KMUs, von Kooperationen absehen, die wirtschaftlich Sinn machen. Dieser Zustand hängt mit Dysfunktionen in der aktuellen Organisation und Verfahrensordnung der WEKO und ihrem Sekretariat zusammen. Diese müssen im Rahmen der anstehenden Institutionenreform beseitigt werden.
Seinem Wesen nach ist das Verfahren vor der Kartellkommission ein Strafverfahren. Anklagende Behörde ist das Sekretariat der Kommission, Angeklagte sind Unternehmen, denen ein Verstoss gegen das Kartellgesetz vorgeworfen wird; die Kommission selber ist entscheidende Behörde, gleichsam das Gericht. In einem rechtsstaatlich korrekten Verfahren müssten das Sekretariat und die Kommission organisatorisch und personell strikt getrennt sein. Vor der Entscheidbehörde sollten zudem Unternehmen und Sekretariat ihren Standpunkt in gleicher Weise vertreten können. Das Sekretariat müsste anders als heute von den Beratungen der Kommission ausgeschlossen werden.
Diese Verbesserungen können nach Auffassung des Think Tanks Fairer Wettbewerb mit der Schaffung einer neuen, dem Strafprozess nachempfundenen Verfahrensordnung vorgenommen werden. Als Entscheidinstanz könnte entweder ein neu zu schaffendes Fachgericht oder eine spezialisierte Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts vorgesehen werden, die mit dem nötigen ökonomischen Sachverstand ausgestattet würde. Ebenso ist denkbar, die Kommission zu einem eigentlichen Gericht auszugestalten. Eine solche Organisation der Behörden und eine entsprechende Verfahrensordnung würde zwar nicht zur Beschleunigung der Verfahren beitragen aber eine „richtige“ und „faire“ Entscheidungsfindung fördern.
Februar 2025, News #05
Schweizerische Wettbewerbsaufsicht vor grossen Herausforderungen
Podiumsdiskussion vom 5. Februar 2025 im Zunfthaus Zur Zimmerleuten, Zürich

Experten und Expertinnen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft diskutierten über die Revision des Kartellrechts und die Zukunft der schweizerischen Wettbewerbsaufsicht. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob die Schädlichkeit einer Wettbewerbsabrede in jedem Fall nachgewiesen werden müsse oder eine Vermutung in gewissen Fällen genüge. Kritik wurde geübt am Verfahren vor der Wettbewerbskommission, an den strengen Sanktionen und auch an der Zusammensetzung der Behörde.
Es ist die Ambition des Think Tanks Fairer Wettbewerb im zum Teil recht angespannten Verhältnis zwischen Unternehmen und Wettbewerbskommission bzw. ihrem Sekretariat eine Plattform für einen sachlichen und unvoreingenommenen Dialog über die künftige Ausgestaltung der Wettbewerbsbehörden zu führen. Diesem Zweck diente auch die Podiumsdiskussion vom 5. Februar in Zürich. Unter der Leitung von Reto Lipp, Wirtschaftsredaktor SRF, haben sich Patrik Ducrey, der Direktor des Sekretariats der Wettbewerbskommission und Vertreter und Vertreterinnen aus Politik, Wirtschaft, Anwaltschaft und Wissenschaft ausgetauscht. Zugegen waren auch zwei Experten aus den Bereichen Wirtschafts- und Rechtswissenschaft. Die Diskussion um das komplexe und aktuelle Thema stiess auf reges Interesse. Rund 50 Personen verfolgten aufmerksam die Argumente der fünf Podiumsteilnehmer und Teilnehmerinnen.


Patrik Ducrey, Direktor des Sekretariats der Wettbewerbskommission, konstatiert einen gewissen «Rückschritt» in der Diskussion um die Tätigkeit der WEKO und ihrem Sekretariat. Nachdem es in der letzten Revision des Kartellgesetzes darum gegangen sei, Kartelle besser bekämpfen zu können, werde nun der Behörde zum Teil Aktivismus vorgeworfen. Doch das Sekretariat bewege sich im gesetzlich vorgegebenen Rahmen und werde durch die Gerichte durchaus überwacht. Das Sekretariat überprüfe in jedem Fall genau und mit grossem Aufwand - gerade auch in ökonomischer Hinsicht – ob überhaupt eine Wettbewerbsabrede vorliege und ob diese den Wettbewerb erheblich einschränke. Nur für ganz eindeutige Fälle habe der Gesetzgeber vorgesehen, dass die Behörde, wenn sie einmal das Vorliegen einer Abrede festgestellt habe, keine weiteren Abklärungen über deren Auswirkungen machen müsse.
Dabei gehe es um fünf Typen von Abreden: horizontale Abreden betreffend Preise, Mengenbeschränkungen und Gebietsaufteilungen und vertikale Abreden betreffend Preisbindungen und Zuweisung von Gebieten, also die Behinderung von Parallelimporten. Auch nehme die Behörde bei der Verhängung von pönalen Sanktionen durchaus auf die wirtschaftliche Situation der KMU Rücksicht und informiere die Unternehmen frühzeitig. Die Behörde greife bei ihren Entscheidungen auf die Wertungen des EU-Rechts zurück und sei bemüht, einen Gleichlauf herzustellen. Für Ducrey sind viele Vorwürfe an die Kommission und das Sekretariat oft zu pauschal, er wäre froh, wenn konkrete Beispiele genannt würden.


Peter Hettich, Professor für öffentliches Wirtschaftsrecht, HSG St.Gallen, hat den Eindruck, dass die Wettbewerbskommission zuweilen ihre Kompetenzen weiter auslege, als dies vom Gesetzgeber gewollt sei. So könnten beispielsweise vertikale Abreden zum Teil durchaus positive wirtschaftliche Effekte haben.
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Für Felix Küng, Manager Recht, SwissHoldings, ist es ein Anliegen, dass die schädlichen Auswirkungen von Wettbewerbsabreden nicht bloss behauptet, sondern tatsächlich im Einzelfall untersucht und dargelegt werden. Auch müsse dem Umstand Rechnung getragen werden, dass viele Wettbewerbsabreden ambivalent seien, etwa wenn Unternehmen sich spezialisieren wollen und eine Arbeitsteilung vereinbaren. Was die künftige Organisation der Wettbewerbsbehörde angehe, sollte dieser ein Gerichtsmodell zu Grunde gelegt werden.
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Astrid Waser, Anwältin bei Lenz & Staehelin, plädiert dafür, den Blick nach vorne zu richten und bei der anstehenden Revision des Kartellrechts die nötigen Präzisierungen an der bisherigen Rechtsprechung vorzunehmen. So könne das Parlament beispielsweise dafür sorgen, dass klar wettbewerbsfördernde horizontale Absprachen wie z.B. im Bereich von Forschung und Entwicklung, auf dem Gebiet der Logistik oder im Bereich des gemeinsamen Einkaufs nicht als Preisabsprachen zu betrachten seien. Dies gelte auch für Arbeitsgemeinschaften, die zwar auch Preisabsprachen beinhalteten, aber wirtschaftlich Sinn machten. Und im Übrigen gelte: Kartellverfahren seien Strafverfahren und die Verfahrensgarantien müssten dementsprechend ausgestaltet sein.
Nina Fehr Düsel, Nationalrätin und Unternehmensjuristin Swiss Life, will zwar keinen Systemwechsel im Kartellrecht, spricht sich aber dafür aus, dass die Auswirkungen einer Wettbewerbsabrede im konkreten Fall auch tatsächlich geprüft würden. Sorge bereiten die langen Verfahren. Auch würden KMU durch Untersuchungen der Kommission zum Teil stark belastet, was ihre Existenz gefährden könne. Die Kommission sollte personell verkleinert werden, dafür die Pensen der Mitglieder aufgestockt werden. Auch sollte das Sekretariat der WEKO-Untersuchungen selbständig, ohne Mitwirkung der Kommission, anordnen und vornehmen können.
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Nach Experte Stephan Vaterlaus, CEO von Polynomics AG, sind Wettbewerbsabreden aus einer ökonomischen Perspektive oftmals ambivalent, sie können volkswirtschaftlichen Nutzen wie auch Schaden erzeugen. Bei der Ausgestaltung der Wettbewerbsbehörden seien auch sog. politökonomische Aspekte, wie die Organisationsform der Behörde, zu berücksichtigen.
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Für Experte Marc Thommen, Professor für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Zürich, sind in der gegenwärtigen Organisation der Wettbewerbsaufsicht zu viele Entscheidbefugnisse bei einer einzigen Behörde vereint und eine umfassende Prüfung der Entscheide der Wettbewerbskommission finde nicht statt. Ein Gerichtsmodell, wie auch immer ausgestaltet, könnte in dieser Hinsicht Verbesserungen bringen. Die Verfahrensdauer würde dadurch zwar nicht kürzer, aber die Entscheidungen würden wohl mehr Akzeptanz finden.
In der anschliessenden Diskussion meinte der Vertreter der Baumeisterverbandes, die Baubranche wolle keine Kartelle und finde es richtig, wenn die Betreffenden bestraft würden. Es gehe aber nicht an, die ganze Branche in Misskredit zu bringen, wie dies nun zum Teil gemacht werde. Zudem müsse die sog. Per-se- Erheblichkeit von Abreden abgeschafft werden. Ein anderer Teilnehmer aus dem Publikum zeigte auf, in welch wirtschaftliche Schwierigkeiten ein Unternehmen geraten kann, wenn ihm in einem langjährigen Verfahren Bussen in Millionenhöhe drohen.
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In seinem Schlusswort betonte Peter Müller, Präsident des Vereins Think Tank Fairer Wettbewerb, die Veranstaltung habe gezeigt, wie wichtig eine sachliche Diskussion der Fragen rund um die Wettbewerbsaufsicht sei. Zu oft noch werde mit Schlagworten und pauschalen Vorwürfen operiert; nötig sei eine seriöse, unvoreingenommene Prüfung der jeweiligen Argumente von Wirtschaft und Behörden.
Oktober 2024, News #04
Analyse der Funktion der Wettbewerbsbehörden aus juristischer Sicht
Der Think Tank hat bei Prof. Marc Thommen von der Universität auch eine juristische Analyse von Funktion und Organisation der Wettbewerbsbehörden in Auftrag gegeben.​
In ihrem Gutachten vertreten die Gutachter Prof. Marc Thommen und Andrés Payer von der Universität Zürich, gestützt auf eine eingehende Analyse der Praxis des Europäischen Menschengerichtshofs, die Auffassung, dass die geltende organisatorische und prozessuale Ausgestaltung der schweizerischen Wettbewerbsbehörden im Widerspruch zur EMRK stehe – dies im Gegensatz zur Auffassung der Expertenkommission, welche die Kompatibilität mit der EMRK bejaht. Sie sind der Ansicht, dass kartellrechtliche Direktsanktionen Strafen im Sinne der EMRK seien, das Verfahren vor den Wettbewerbsbehörden demzufolge eigentlich ein Strafverfahren sei, die rechtsstaatlichen Garantien, die in einem Strafprozess gelten – Unschuldsvermutung, Anklagegrundsatz -, jedoch keine Anwendung fänden. Das Sekretariat der WEKO als Untersuchungsbehörde und die Kommission selber als entscheidende Behörde seien zu eng miteinander verflochten; die Kommission urteile nicht unabhängig, sondern übernehme oft einfach die Argumentation des Sekretariats. Das Bundesverwaltungsgericht wiederum lege sich in Beschwerdeverfahren bei der Überprüfung des Sachverhalts Zurückhaltung auf und stelle stark auf die Verfügung der WEKO ab. Die Experten schlagen daher ein Modell vor, in dem ein erstinstanzliches Sachgericht die Direktsanktionen verhängt und die einvernehmlichen Regelungen absegnet. Das Sekretariat soll zu einer eigenständigen Untersuchungs- und Anklagebehörde ausgebaut und die WEKO zu einem personell und institutionell unabhängigen Wettbewerbsgericht umfunktioniert werden.
Oktober 2024, News #03
Analyse der Funktion der Wettbewerbsbehörden aus ökonomischer Sicht
Dem Think Tank ist es ein Anliegen, dass das Verfahren vor den Wettbewerbsbehörden nicht nur aus juristischer, sondern auch aus ökonomischer Sicht kritisch hinterfragt wird.
Er hat deshalb bei der Firma Polynomics, Olten, eine Studie in Auftrag gegeben, welche einerseits das Verständnis für Wettbewerb und für Wettbewerbsverzerrungen aus ökonomischer Sicht schärfen und anderseits Organisation und Verfahren der schweizerischen Wettbewerbsbehörden einer Überprüfung unterziehen und Verbesserungspotential identifizieren sollte.​
Im ökonomischen Gutachten der Firma Polynomics, Olten, wird aufgezeigt, dass das Verhalten und die Geschäftsbeziehungen von Unternehmen unter wettbewerbsökonomischen Gesichtspunkten in vielen Fällen durchaus ambivalent sind. Ob ein bestimmtes Verhalten Wettbewerbsbeschränkungen darstellen, ist in vielen Fällen nicht offensichtlich. Weder die Absicht, eine vorrangige Marktstellung zu erreichen, noch das tatsächliche Erreichen einer solchen Marktstellung sind deshalb per se wettbewerbsschädlich. Sie sind vielmehr Triebfeder funktionierenden Wettbewerbs. Eine herausragende Marktstellung einer Unternehmung mit guten Produkten und Dienstleistungen ist als solche kein Grund für behördliches Einschreiten, sondern Ausdruck eines funktionierenden kompetitiven Prozesses.
Angesicht dieser Ambivalenz müsse sorgfältig abgewogen werden, in welchen Konstellationen es - unter ökonomischen Gesichtspunkten - sinnvoll sei, mit gesetzlichen Vermutungen zu schaffen und wann die Auswirkungen einer Wettbewerbsabrede im konkreten Fall geprüft werden müsse. Die Ökonomen haben für diese Abwägung eine ausgeklügelte Methode entwickelt.
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Mai 2024, News #02
Ständerat berät Revision
des Kartellgesetzes
Der Ständerat berät in der anstehenden Sommersession die Revision des Kartellgesetzes.
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Bei der Revision geht es grundsätzlich um materielle und verfahrenstechnische Fragen. So soll die Beweislast für unzulässige Wettbewerbsabreden explizit bei den Behörden liegen. Ob eine Abrede den Wettbewerb tatsächlich schädigt, soll aufgrund quantitativer und qualitativer Kriterien im konkreten Fall entschieden werden. Ein Opportunitätsprinzip soll es den Behörden erlauben, in geringfügigen Fällen auf ein Eingreifen zu verzichten. Schliesslich sollen Unternehmen, die zu Unrecht in ein Verfahren der WEKO einbezogen worden sind, für ihren Aufwand entschädigt werden können.
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Es sind dies Vorschläge, welche die Fairness bei wettbewerbsrechtlichen
Untersuchungen können.
April 2024, News #01
TTFW überprüft Vorschläge der Expertenkommission für eine Revision der Wettbewerbsbehörden.
Der Verein TTFW hat mit Interesse den Bericht der Expertenkommission zur Reform der Wettbewerbsbehörden Kenntnis genommen. Er will diesen aber einer kritischen Überprüfung unterziehen. Denn die Expertenkommission spricht sich grundsätzlich für die Beibehaltung des heutigen Modells der Wettbewerbsbehörden aus, das heisst für eine Wettbewerbskommission mit Sekretariat, und will dieses Modell lediglich optimieren. Daneben verdienen aber alternative Konzepte, bei denen die Untersuchung von Verstössen gegen das Wettbewerbsrecht und deren richterliche Beurteilung von zwei voneinander unabhängigen Behörden vorgenommen wird, noch eine eingehendere Prüfung. Zudem sollte neben juristischen Aspekten vor allem auch aus ökonomischer Perspektive genauer untersucht werden, in welchen Fällen Kooperationen von Unternehmen tatsächlich den Wettbewerb verfälschen und volkswirtschaftlich schädlich sind.
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Um diesen Fragen nachzugehen, hat der Verein TT bei renommierten Juristen und Ökonomen zwei Gutachten in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse der Untersuchungen werden bis zu den Sommerferien vorliegen und eine Grundlage für die weitere Begleitung der institutionellen Reform der Wettbewerbsbehörden durch den Verein TT bilden.
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